Über
den Wolken
...sollte
die Freiheit nicht immer grenzenlos sein
MAGDEBURG,
29. August 1995
Westlich
von Südost, südlich der Planetensiedlung und im Westen Otterslebens liegt
er - der Verkehrslandeplatz der Klasse 2 Magdeburg-Süd, zur Zeit wohl
eines der beliebtesten Streitobjekte Magdeburgs, gern gebraucht für Wahlversprechen
und deren Nicht-Einhaltung und zu dem geworden, was er jetzt ist - durch
Intrigen?
Besserer
Acker
Zu
DDR-Zeiten starteten vom jetzigen Zankapfel der Güteklasse 1 hauptsächlich
Dünge- und Sportflugzeuge, entsprechender Lärm war also den Anliegern
seit eh und je ein Dorn im Auge, welchen sie aber ob der sozialistischen
Diktatur kaum entfernen konnten. Nach der Wiedervereinigung 1990 nahm
der Fluglärm ab, lediglich durch Sportflieger, die von dem "besseren
Acker" mit einigen baufälligen Gebäuden starteten, wurde die Ruhe
(insbesondere am Wochenende) der Bewohner oben genannter Gebiete gestört.
Alsbald aber hatten sich Magdeburgs Stadtväter zu dem Glauben hinreißen
lassen, ein Verkehrsflughafen würde die wirtschaftliche Situation ihrer
Stadt verbessern, ergo: ein solcher mußte her. Doch wo? Würde man den
Flugplatz Magdeburg-Süd zu einem Regionalflughafen ausbauen - die etwa
50.000 Anwohner der umliegenden Gebiete würden es nicht mit ihren Kreuzchen
auf dem Wahlzettel danken.
Folglich
mußte man im nähren Umland nach geeigneten Plätzen suchen und beschloß
daher in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 15. Mai 1991,
den Flugplatz Magdeburg-Süd nur soweit es nötig ist zu modernisieren und
als Provisorium zu behalten, bis ein besserer Standort gefunden und zum
Regionalflughafen ausgebaut ist.
Ganz
besonders liebäugeln taten die Magdeburger Volksvertreter mit Langenweddingen
, da die Entfernung zu Magdeburg nicht groß sei, Verbindungen schnell
geschaffen wären und Investoren in kürzester Zeit dort nonstop landen
könnten.
Ausgeträumt
Allerdings
waren natürlich auch die Bürger Langenweddingens nicht gerade erbaut über
die Vorstellung, daß bald größere Passagierflugzeuge ihre Kristallteller
zum Beben bringen würden und gründeten kurzerhand eine Bürgerinitiative.
Mit Erfolg: im April 1993 entschied sich die Gemeindevertretung Langenweddingen
mit einer Stimme Mehrheit gegen den geplanten Flughafen - die Träume der
Magdeburger Stadtverordnetenversammlung von einem Investorenboom per Flugzeug
waren vorerst ausgeträumt. Aufgrund der nun verlorengegangenen Ideallösung
wurde immer öfter der Flugplatz Magdeburg-Süd wieder in die Debatte um
eventuelle Standorte eingebracht, was zur Folge hatte, daß sich die „Bürgerinitiative
gegen Fluglärm“ in einem offenen Brief (25. Mai 1993) an Magdeburgs Oberbürgermeister
Dr. Willi Polte wandte und eine Erklärung des weiteren Vorgehens wünschte.
Sinneswandel
Polte
antwortete am 6. Juli 1993 wie folgt:
„Sehr geehrter Sprecherrat,
für Ihren offenen
Brief danke ich Ihnen. Zu den aufgeworfenen Fragen darf ich wie folgt
Stellung nehmen:
Ein
Ausbau des Magdeburger Flughafens ist nicht geplant! [...] Ich bin der
Auffassung, daß in dem Zeitraum, wo der Flugplatz noch als Übergangslösung
für einen neugeplanten Regionalflughafen dient [...]“
Um
einen sichereren Geschäftsreiseverkehr zu ermöglichen, wurde - wie vom
OB auch in seinem Brief angekündigt - die Start- und Landebahn (SLB) asphaltiert,
was allerdings nicht ohne erheblichen Protest der Bürger ablief, die hier
das Praktizieren der „Salamitaktik“ befürchteten.
Diese
Befürchtung wurde vom Magdeburger OB bekräftigt, als der in einem Interview
der Magdeburger Volksstimme vom 22. Dezember 1993, die dieses Interview
mit einem Spiel beendete, bei dem der OB Schlagzeilen kommentieren sollte,
auf die fiktive Schlagzeile: „Polte beim ersten Spatenstich beim Regionalflughafen
Magdeburg Süd“ mit: „Das gefällt mir schon besser! „ antwortete.
Kein
Regionalflughafen möglich, trotzdem Pläne aus dem Märchenbuch
Auf
diese Aussage reagierte die Bürgerinitiative mit einem Bürgerantrag an
die Stadtverordnetenversammlung, in dem die Bürger einen sofortigen Ausbaustop,
keinen Ausbau zum Regionalflughafen und keine Entscheidung in diesem Thema
über die Köpfe der Bürger hinweg forderten.
Die
Parlamentarier ließen diesen Antrag in ihrer Sitzung vom 27. Januar 1994
zu. Kurz nachdem dies geschehen war, legte die Flughafen GmbH dem Baudezernat
Pläne vor, in denen eine Veränderungssperre (keine Bebauung mehr) für
das gesamte Gebiet westlich und östlich des Flughafens (bis kurz vor die
Stadtgrenzen) vorgeschlagen wurde. Knapp drei Monate später, in der Sitzung
vom 21. April 1994 wurde dann im Rathaus über den Antrag debattiert -
Ergebnis: 41 Abgeordnete stimmten dem Antrag zu, 28 lehnten ihn ab und
23 Stadtverordnete enthielten sich der Stimme, womit der Antrag gebilligt
wurde. Wie nicht anders zu erwarten legte der OB Widerspruch gegen diesen
Beschluß ein, worauf das Stadtparlament am 5. Mai 1994 erneut über diesen
Antrag zu beraten hatte und entschied, Punkt eins des Bürgerantrages ersatzlos
zu streichen, die anderen beiden Punkte allerdings beizubehalten, was
bedeutet, daß auch heute noch ein Ausbau des Flugplatzes Magdeburg-Süd
zum Regionalflughafen abgelehnt ist.
Mit
diesem „Todesurteil“ wollten sich natürlich Flughafen-Chef Peter Fechner
(40) und die Flughafenlobby nicht abfinden, legten dem Stadtplanungsamt
prompt zwei Ausbaupläne vor.
Der
Ausbauplan „2000“ beinhaltet eine Verlängerung der Landebahn von jetzt
875 Metern auf 1.200 Meter, um, so Fechner, den 1999 in Kraft tretenden
neuen EU-Normen gerecht zu werden, größere Flugzeuge als jetzt könnten
dann auch nicht in Magdeburg-Süd landen.
In
einen großen Regionalflughafen gipfelt der Ausbauplan „2010“, in dem geplant
ist, die „SLB“ auf 1.800 Meter zu verlängern (was auch eine Umlegung der
B 71 zur Folge hätte), womit sich die Passagierzahl mehr als verfünffachen
(von 32.000 auf 170.000) und die Anzahl der Starts und Landungen sich
fast verdoppeln (von 29.000 auf 53.000) würde, was hieße, daß dann etwa
145 Flugbewegungen pro Tag auf dem Regionalflugplatz Magdeburg-Süd zu
verzeichnen wären.
Widerspruch,
oh heißgeliebter Widerspruch
Um
die vorsorgliche Reservierung von Flächen in Hinblick auf die EU-Richtlinien
1999 ging es dann in der Sitzung des Magdeburger Stadtrats am 8. Juni
1995, der nach einer langen und harten Debatte diese Reservierung mit
22 Nein- gegen 19 Ja-Stimmen ablehnte, worauf der OB, den zur Zeit eine
regelrechte Widerspruchitis befallen zu haben scheint, erneut Widerspruch
einlegte.
Über
diesen zu entscheiden hatte der Stadtrat unter TOP 6.1 dann am 24. August
1995. Die Debatte, die fast 3 Stunden dauerte, war ein teilweise übler
Schlagabtausch zwischen CDU und SPD auf der einen und PDS, B‘90/Die Grünen
auf der anderen Seite. Nach Hickhack um das Verfahren bei der Abstimmung
wurde jene geheim vollzogen - 27 Abgeordnete befürworteten den Widerspruch
des OB's, 22 lehnten ihn ab, 1 Enthaltung war zu verzeichnen, womit also
die Flächen rund um den Flugplatz vorsorglich reserviert werden und eigentlich
auch schon ein erster Schritt in Richtung Regionalflughafen an dieser
Stelle getan wurde.
Fazit:
Beschämend
Der
Magdeburger Stadtrat hat seine Entscheidung getroffen, ob diese vertretbar
ist, darf angezweifelt werden. Denn sollte nicht das Bemühen unserer Parlamentarier
in Richtung stabiles und lebenswertes Magdeburg gehen? Allein ein Verkehrsflughafen
(oder später ein Regionalflughafen) wird Magdeburg nicht aus dem wirtschaftlichen
Schlamassel ziehen, hier sind andere Ideen und deren Verwirklichung gefragt.
Denn der Flughafen ist bis jetzt immer wieder modernisiert und ausgebaut
wurden, die Stadt steckte Millionen in dieses Prestigeobjekt - die Magdeburger
Arbeitslosenquote (über 16%) spricht über den Nutzen wohl Bände.
Außerdem:
rentiert sich ein Regionalflughafen Magdeburg, auf den ja, trotz aller
Abstreitereien, hingearbeitet wird, überhaupt? Sind die schätzungsweise
100 Millionen DM (obwohl nicht genau klar ist wieviel denn alles in allem
kosten würde - “Der Preis ist heiß“) nicht in den Sand gesetzt wenn man
bedenkt, daß Magdeburg regelrecht von Flughäfen eingekesselt ist. So soll
zum Beispiel Berlin-Schönefeld zu einem internationalen Riesen-Airport
ausgebaut werden, dank ICE ist man in gut einer Stunde dort. Ist dieser
Flughafenbau nicht weiter exorbitant, wenn man weiter bedenkt, daß Leipzig/Halle,
ebenfalls in der Ausbauphase, von Magdeburg nicht weiter entfernt ist
als der Münchner Großflughafen von München? Das Magdeburg auch ohne Regionalflughafen
ein attraktiver Standort für Investoren ist, bewies ein Ost-Städtetest
der Zeitschrift IMPULSE (es ging um die Attraktivität des jeweiligen Standortes),
bei dem Magdeburg Platz 1 belegte, wohl deutlich. Und wenn es dann doch
unbedingt ein Regionalflughafen sein soll warum setzten Magdeburgs Stadtväter
denn nicht von Anfang an auf Cochstedt? Jetzt zu sagen, im Vergleich ist
Cochstedt von der Ausstattung her viel schlechter ist lächerlich, wäre
doch der Cochstedter Flughafen viel weiter als Magdeburg-Süd, hätte man
ihn genauso stark unterstützt wie Magdeburg-Süd, zumal dort Möglichkeiten
existieren, von denen am Flugplatz Süd nicht einmal geträumt werden darf.
Das Argument, Cochstedt liege zu weit von Magdeburg entfernt, ist im Hinblick
auf die Entfernungen anderer Städte von „ihren“ Flughäfen mehr als vermessen.
Natürlich gibt es auch in diesem Bereich Leute, die das selbstverständlich
anders sehen. So war eine, nicht einmal nötige, Sperrung des Magdeburger
Flughafens, für SKET-Chef Oestmann, der auf den Cochstedter Flughafen
ausweichen mußte, ein Grund, sich öffentlich über das ach so investorenfeindliche
Magdeburg auszuweinen. „Eine Anfahrt von 25 km ist für Investoren untragbar!“,
tönte es da von den VOLKSSTIMME-Altpapierseiten. Daß Oestmann von seinem
Wohnort in Niedersachsen ebenfalls gut 25 km zum Flughafen fahren muß,
wurde natürlich nicht öffentlich.
Und
warum in Zeiten, in denen an Besteuerung von Kerosin und das Verbot von
Inlandsflügen gedacht wird, überhaupt Platz für das Flughafen-Wunschdenken
einiger scheinbar größenwahnsinniger Politiker und Karrieristen ist -
unerklärlich? Wo bleibt denn hier ökonomisches Denken? Wäre es nicht viel
förderlicher gewesen, hätte man anstelle dieses Flughafens, dessen Aufschwungwirkung
zur Zeit noch nicht einmal bewiesen werden kann, OTTO dort investieren
lassen?
Auch
an aus der Sache resultierende ökologische Probleme wurde mit erschreckender
Kontinuität nicht gedacht:
Die
Umwelt-Weisheit von Dr. Lutz Trümper (SPD), man solle erst an Ökonomie
denken, ehe man sich an die ökologischen Probleme macht, kann man wohl
getrost auf die städtische Mülldeponie wandern lassen.
Demokratie,
die sie meinen
Der
Grundsatz „Demokratie ist unser höchstes Gut“ scheint in Magdeburg nicht
zu gelten So stand doch in „Magdeburg informativ“, dem Informationsblatt
der Magdeburger CDU, im Sommer 1993 in der Sparte „Als nächste politischen
Ziele sollen umgesetzt werden“ unter anderem „Ausbau der Rollbahnbefestigung
des Magdeburger Verkehrslandeplatzes bis zur Fertigstellung eines Regionalflughafens“.
Auch der CDU-Kandidat im Wahlbereich 9 (betroffenes Gebiet) Gerhard Heinl
versprach noch vor der 94er Kommunalwahl: „kein weiterer Ausbau des Flugplatzes!“.
Das im Übrigen zu einer Zeit, als der Vorschlag Langenweddingen schon
lange vom Tisch war. Und trotzdem stimmte die CDU nun für den weiteren
Ausbau. Wo wir gerade bei der CDU sind - die Fraktion dieser Partei im
Magdeburger Stadtrat sollte sich ob des Verhaltens ihres Fraktionsvorsitzenden
in der Sitzung am 24. August schämen, denn seine zutiefst dogmatische
und demagogische Art, die er in dieser Sitzung an den Tag legte, stellt
ihm mehr als nur ein Armutszeugnis aus. Wenn ein führendes Stadtratsmitglied
wie Reinhard Stern sich zum Abstreiten von im Stadtrat gefaßten Beschlüssen
hinreißen läßt, gehört er nicht in Magdeburgs Stadtparlament. Demokratie
ist schließlich keine Auslegungssache.
Wenn
es zu weit geht
Auch
als Peter Fechner auf der Bürgerversammlung am 22. August 1995 auf illegale
Baumaßnahmen angesprochen wurde, kam Interessantes ans staubige Tageslicht.
Antwortete Fechner doch: „Ich wurde zwar von einigen Abgeordneten gedrängt,
illegal auszubauen, habe das aber nie gemacht.“ Das muß man sich mal auf
der Zunge zergehen lassen.
Als
regelrecht pervertiert muß man dann auch die Form des „Widerstandes“ gegen
den Vorsitzenden der Bürgerinitiative, Herrn Dr. Konrad Ludwig bezeichnen,
der mit Morddrohungen mundtot gemacht werden sollte. Nichts gegen eine
sachliche und auch kontroverse Debatte, aber hier hat der Spaß dann wohl
schon längst aufgehört, die Frage „Wo leben wir denn hier eigentlich?“
ist dann wohl angebracht. Und wenn dann einige Abgeordnete die Volksstimme-Umfrage
bezüglich des Flughafens (155 Befragte) als endgültige Meinung aller Magdeburger
werten, muß man doch arg am Demokratieverständnis dieser Stadträte zweifeln.
Pressefreiheit
Einen
nicht unerheblichen Anteil daran, daß der größte Teil der Magdeburger
für einen Regionalflughafen Magdeburg-Süd ist, hat unsere heißgeliebte
„Heimatzeitung mit Herz“. Denn die Art und Weise, auf die Fechner und
seine Pläne von der Volksstimme in den siebenten Flughafenhimmel gelobt
wurden und konträren Argumenten bis auf wenige Ausnahmen nicht ein Wort
zugebilligt wurde, ließ an ihrer Objektivität zweifeln. Aber schließlich
sind Monopole ja zum Ausnutzen da.
Und
die Moral von der Geschicht ...
Wie
sagte doch Alfred Westphal, Fraktionsvorsitzender der Bündnisgrünen, auf
der Bürgerversammlung: „Der Stadtratsbeschluß wird nichts endgültiges
sein - in zwei, drei Jahren kann alles schon wieder ganz anders aussehen!“
Weißt du, Demokratie,
manchmal find‘ ich dich so richtig gut.
|