FLUGPLATZ UND WIDERSPRÜCHE | ||
Bodenlärm
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Ist das Gutachten eine wissenschaftliche Arbeit? Die vorliegenden lärmmedizinischen Gutachten (M8, M9) weisen erhebliche Verletzungen gegen die eingangs formulierten wissenschaftlichen Sorgfaltspflichten auf. So ist die Auswahl der in den Gutachten besprochenen Quellen nicht nachvollziehbar. Wesentliche Literatur wird nicht herangezogen (...). Es werden Aussagen vorgenommen, die sich nicht aus dem Text ableiten lassen, ohne deren Quellen zu benennen. Zur Bewertung dargestellter Quellen werden Ergebnisse von Studien herangezogen, deren Quellen nicht oder nur unvollständig angegeben sind. Es wird keine klare Trennung zwischen Darstellung und Interpretation vorgenommen. Es sind erhebliche Unklarheiten in den Begrifflichkeiten vorhanden. Im gesamten Gutachten sind nachweisbare Fehler enthalten. In Anlehnung an Bortz
[Bortz 1984, S. 56] müssen an den vorliegenden Gutachten bezüglich der
Wissenschaftlichkeit und der wissenschaftlichen Sorgfaltspflicht erhebliche
Zweifel erhoben werden. Die Behauptung des Gutachters: „Die Hörschwelle für die mittelhohe Frequenz von 1000 Hz liegt vereinbarungsgemäß bei 0 Dezibel“ (M8, S.7) entspricht nicht den Deutschen DIN-Normen. Die Behauptung des Gutachters: „Durch die Einstellung „Slow“ wird bewirkt, daß nur die langandauernden, d.h. über den Sekundenbereich hinausgehenden Schallbelastungen erfasst werden“ (M8, S. 11) entspricht nicht den physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Die Behauptung des Gutachters: „Die Verdoppelung der Schallenergie um 3 dB pro Zeithalbierung wird als energieäquivalenter Dauerschallpegel (Leq3) bezeichnet“ (M8, S.9) entspricht nicht den Deutschen DIN-Normen. Die Behauptung des Gutachters: „Wenn der Leq3 für einen bestimmtem Zeitraum berechnet wird, spricht man vom Beurteilungspegel“ (M8, S.9) entspricht nicht den Deutschen DIN-Normen.
Der Gutachter bleibt die
Aussage schuldig (M8, S. 12), welche akuten extraauralen Reaktionen auf
der Grundlage von durchschnittlichen (mittleren) Maximalpegeln beurteilt
werden können. Die Behauptung des Gutachters, dass mit der A-Bewertung auch eine (sinnvolle) Bewertung hinsichtlich der Lästigkeit eines Geräusches vorgenommen wird (M8, S. 8), ist selbst dann in Frage zu stellen, wenn die „unbeeinflusste“ Lästigkeit von Zwicker betrachtet wird. Die Behauptung des Gutachters, dass „[...] die Lästigkeitsempfindung durch die A-Bewertung in den mittellauten und lauten Geräuschen besser beschrieben wird, als durch eine Bewertung mit den Filtern B und C [...]“ (M8, S.8) ist nicht zutreffend. Die Behauptung des Gutachters: „Wenn im schalltechnischen Gutachten die angegebenen Meßgrößen in dB(A) S angegeben werden, entspricht dies auch am ehesten der Empfindung der Belästigung durch Fluggeräusche“ (M8, S. 11) hat keine psychoakustische Grundlage. Akustische Aspekte der Kommunikation Die Behauptung des Gutachters:„Hierbei [bei einem Sprechpegel von 55 dB(A)] ist eine 99%ige Satzverständlichkeit garantiert.“ (M8, S. 38) hat keine akustische Grundlage. Bei intermittierenden Geräuschen (z.B. Fluglärm) ist spätestens dann von Kommunikationsstörungen auszugehen, wenn der Sprachschall weniger als 10 dB(A) über dem momentanen Störschall liegt. Bei intermittierenden Geräuschen ist die Angabe eines Dauerschallpegels demzufolge weniger geeignet Kommunikationsstörungen zu vermeiden (...). Eine zusätzliche Betrachtung der Maximalpegel und deren Häufigkeit ist sinnvoll. Die Behauptung des Gutachters: „99% Sprachverständlichkeit ist noch garantiert, wenn die Kurzzeit-Mittelungspegel, d.h. praktisch die Maximalpegel, innen 55 dB(A) betragen“ (M8, S. 52) entspricht nicht der
Realität und ist grob fahrlässig. Als Schwelle, unterhalb derer ein arbeitslärmbedingter Hörverlust ausgeschlossen werden kann, ist der Wert von LEx,8h = 75 dB(A) zu betrachten. Gemäß der Definition des äquivalenten Dauerschallpegels muss einem Mittelungspegel über 8 Stunden (LEx,8h) die gleiche gehörbeeinträchtigende Wirkung zugeordnet werden wie einem um 6 dB(A) reduzierten Mittelungspegel über 24 Stunden (LAeq,24h): LAeq,24h = LEx,8h – 6 dB(A). Bei der Berechnung wurden von Passchier-Vermeer [Passchier-Vermeer 1993] Urlaubstage und arbeitsfreie Wochenenden berücksichtigt. Der no-adverse-effect-level, d.h. die Schwelle unterhalb der ein Hörverlust auszuschließen ist, entspricht dieser Annahme zufolge einem äquivalenten Dauerschallpegel über 24 Stunden von LAeq,24h = 69 dB(A) (vgl. [Maschke 1996]). Im Gutachten M8 wird für den äquivalenten Dauerschallpegel ein Immissionsgrenzwert von LAeq3 = 80 dB(A) hinsichtlich des Schwellenwertes für Lärmschwerhörigkeit angesetzt (M8, S. 32). Sollte der Wert von LAeq3 = 80 dB(A) für die Tageszeit von 16 Stunden gelten, so verstößt er gegen die allgemein anerkannte „Energie-Äquivalenz“ der Hörminderung, die auch vom Gutachter beschrieben wird (M8, S. 8). Im Gutachten
M8 wird hinsichtlich von fluglärmbedingten Hörverlusten kein Immissionsgrenzwert
für Maximalpegel angegeben (vgl. M8, S. 34). Die im Gutachten beschriebenen akustischen Grundlagen (bewertete Pegel, äquivalenter Dauerschallpegel, Beurteilungspegel, usw.) weisen erhebliche Mängel auf und lassen Fachkompetenz vermissen. Die dargestellten akustischen Grundlagen zur Belästigung entsprechen nicht dem wissenschaftlichen Kenntnisstand. Der Umgang mit den akustischen Grundlagen der Kommunikationsstörungen ist bedenklich oder falsch und nicht zur Definition von Immissionsgrenzwerten in einem lärmmedizinischen Gutachten geeignet. Internationale „Lärm“-Maße, z.B. Ldn, SEL (Sound Exposure Level) u.a., werden nicht besprochen (vgl. z.B. [Hecht 1999]) und führen im Gutachten zu Fehlinterpretationen (...). Die vom Gutachter präsentierte akustische Fachkompetenz wird den Anforderungen, die an ein lärmmedizinisches Gutachten zu stellen sind, in keiner Weise gerecht. Eustress und Distress Bei der Bewertung
von lärmbedingten Reaktionen muss demzufolge immer zwischen akuter Fehlregulation
(Übersteuerung) und chronischer Überbeanspruchung (Überlastung) unterschieden
werden. Eine immer wiederkehrende Übersteuerung muss ebenso als Gesundheitsrisiko
eingestuft werden wie eine Überlastung durch eine langandauernde unbewältigte
Exposition. Jansen verweist zur
Begründung der „Übersteuerungsgrenze“ von 99 dB(A) auf die Publikation
„Zur nervösen Belastung durch Lärm“ die er 1967 veröffentlicht hat [Jansen
1967]. Sie enthält Grenzwerte hinsichtlich der vegetativen Belastbarkeit
durch Maximalpegel, die aus Ergebnissen experimenteller Studien abgeleitet
wurden. In diesen Studien wurde die Verminderung der Fingerpulsamplitude
als Maß für die physiologische Reaktion untersucht. Im Gutachten wird kein Immissionsgrenzwert zur Prävention von Herz-Kreislaufbeeinträchtigungen angegeben. Aufwachreaktionen Wird die von Griefahn publizierte Grenzkurve nächtlicher Schallimmissionen ausgewertet, so darf bei 6 nächtlichen Schallereignissen ein Maximalpegel von Lmax = 55 dB(A) nicht überschritten werden, um das Gesamtrisiko für Aufwachreaktionen nicht zu erhöhen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Gutachter die Arbeit von Griefahn [Griefahn 1990] nicht bespricht oder die Kritikpunkte darlegt, die ihn zum Ausschluß der Arbeit veranlassten. Auf der Grundlage der besprochenen Quellen kann nicht abschließend dazu Stellung genommen werden, welcher Maximalpegel als Beginn von lärmbedingten Aufwachreaktionen angesehen werden kann. Gleichwohl ist aus präventivmedizinischer Sicht und unter Zugrundelegung der vorgestellten Ergebnisse der Nullpunkt für fluglärmbedingte Aufwachreaktionen (intermittierende Geräusche) bei Maximalpegeln von 45-55 dB(A) anzusiedeln. Der vom Gutachter vorgeschlagene Grenzwert für eine „Übersteuerung“ in der Nacht von 6 x 60 dB(A) ist abzulehnen, weil der Schutzbedarf der Flughafenanwohner erheblich unterschätzt wird. Die Formulierung eines Doppelkriteriums (LAmax, LAeq3) zum Schutz des Schlafes wird von uns ausdrücklich begrüßt. Als nicht hinnehmbar ist aber die Tatsache zu bezeichnen, dass der äquivalente Dauerschallpegel von Leq3,außen = 55 dB(A) in der Zusammenfassung (Kap. 4.4 Das Nachtbelastungsgebiet) nicht mehr erwähnt wird (M8, S. 65f). Die Vernachlässigung des
nächtlichen Mittelungspegels bei der Beurteilung des nächtlichen Schutzbedarfes
ist nicht nachvollziehbar. Hier besteht erheblicher Erklärungsbedarf. Die Aussage des Gutachters, dass der Schlaf insgesamt als trophotrope Phase (energiespeichernde Phase) einzustufen ist, trifft nicht zu (M8, S. 47). Aus der Tabelle (Tab. 2.3) ist zu ersehen, dass der REM-Schlaf als ergotrope Phase (energieverbrauchende Phase) während des Schlafes angesehen werden muss. Die Restitution des Schlafes hängt demzufolge nicht nur von unerwünschten Aufwachreaktionen, sondern ebenso von der Ausgewogenheit zwischen Non-REM-Schlaf und Traumschlaf (REM-Schlaf) ab [Hecht 1993b, Koella 1988]. „Aus der Sicht des Umweltrates ist nicht auszuschließen, daß die beobachteten Schlafstörungen langfristig Gesundheit und Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können“ [SVRU 1999, Abs. 444]. Es ist präventivmedizinisch zu fordern, dass nachts ein fluglärmbedingter äquivalenter Dauerschallpegel von LAeq = 32 dB(A) am Ohr des Schläfer nicht überschritten wird. Wird für die Schalldämmung eines gekippten Fensters 15 dB(A) zugrundegelegt [VDI 2719], so ergibt sich ein äquivalenter Dauerschallpegel für den Außenraum von LAeq,außen = 47 dB(A). Der vom Gutachter vorgeschlagene Immissionsgrenzwert für den äquivalenten Dauerschallpegel von LAeq,außen = 55 dB(A) ist aus präventivmedizinischer Sicht deutlich zu hoch und muß abgelehnt werden. Ab der Mitte der Nacht
wirken sich Lärmereignisse besonders negativ aus. Schlafstörungen können
dann kaum noch kompensiert werden. In der zweiten Nachthälfte (1:00-6:00
Uhr) sind Flugbewegungen deshalb weitgehend zu vermeiden. Aus präventivmedizinischer Sicht sind nächtliche Maximalpegel auf unter LAmax = 55 dB(A) zu begrenzen, um erhöhte Kortisolausschüttungen zu vermeiden. „Wissenschaftlich
begründete Hinweise auf gesundheitliche Gefährdungen [...] müssen bei
Maßnahmen der Vorsorge berücksichtigt werden“ [SVRU 1999, Abs. 469]. Hinweis: Dokument weiterlesen mittels der im linken Bereich angegebenen Verweise! |
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